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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 05.09.2002
Aktenzeichen: 5 Ss 358/2001
Rechtsgebiete: AEntG, OWiG
Vorschriften:
AEntG § 1 | |
OWiG § 29a |
2. Zur Vereinbarkeit von § 1 Abs. 1 AEntG mit Europarecht, insbesondere zur Möglichkeit eines ausländischen Arbeitgebers, mit Hilfe eines Firmentarifvertrages den in einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag festgesetzten Mindestlohn zu unterschreiten.
3. Zur Berechnung einer Mindestlohnunterschreitung und zur Höhe des gemäß § 29 a OWiG festzusetzenden Verfallsbetrages.
Oberlandesgericht Stuttgart - 5. Senat für Bußgeldsachen - Beschluss
Geschäftsnummer: 5 Ss 358/2001
vom 05. September 2002
in der Bußgeldsache
wegen Zuwiderhandlung gegen Arbeitnehmerentsendegesetz,
Der 5. Senat für Bußgeldsachen hat am 05. September 2002 gemäß § 79 Abs. 5 und 6 OWiG beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde der Verfallsbeteiligten gegen das Urteil ... vom 13. Februar 2001 wird mit der Maßgabe verworfen, dass ein Geldbetrag in Höhe von 149.000 Euro für verfallen erklärt wird.
Die Verfallsbeteiligte hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen; jedoch wird die Beschwerdegebühr um 1/10 ermäßigt. Von den im Rechtsbeschwerdeverfahren angefallenen gerichtlichen und notwendigen Auslagen der Verfallsbeteiligten hat diese 9/10, die Staatskasse 1/10 zu tragen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat gegen die Verfallsbeteiligte wegen Nichtgewährens des Mindestlohnes den Verfall eines Geldbetrages in Höhe von 400.000 DM angeordnet.
Nach den Feststellungen ist die Verfallsbeteiligte eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach polnischem Recht mit Hauptsitz in K./Polen, wo sie Steinbrüche betreibt, Steine als Baumaterialien und Wertstoffe bearbeitet und mit diesen insbesondere grenzüberschreitend nach Deutschland Handel treibt.
Von ihrer Niederlassung in B. aus verwaltet und organisiert sie ihre in Deutschland entfalteten Tätigkeiten auf dem Bausektor, die im Sinne des AEntG überwiegend als Bauleistungen zu bewerten sind. Insbesondere ist die Verfallsbeteligte in diesem Zusammenhang im Rahmen des deutsch-polnischen Werkvertragsabkommens tätig.
In der Zeit vom 14. Januar 1997 bis Frühjahr 1998 beschäftigte die Verfallsbeteiligte auf der Baustelle einer Kinderklinik in T. als Subunternehmerin der Fa. H. polnische Arbeiter, die im Wesentlichen Traggerüste für Zwischenwände und Decken montierten und auf diesen Gerüsten Gipsplatten befestigten. Aufgrund monatlicher Aufmaße zahlte die Fa. H. an die Verfallsbeteiligte im Zeitraum vom 19. März 1997 bis zum 15. November 1997 insgesamt 383.511,67 DM, danach am 17. Dezember 1997 39.266,57 DM, am 27. Februar 1998 9.681,92 DM und am 14. April 1998 10.062,57 DM.
In der verfahrensgegenständlichen Zeit vom 14. Januar 1997 bis zum 30. November 1997 betrug der Lohn der auf der Baustelle eingesetzten Arbeiter der Verfallsbeteiligten, wie mit diesen vereinbart, nach Maßgabe der jeweils monatlich geleisteten Arbeitszeiten der einzelnen Arbeiter, insgesamt 40% der von der Fa. H. ausbezahlten Summen.
Bis einschließlich August 1997 hatten die Arbeiter der Verfallsbeteiligten insgesamt 20.222 Stunden, in der anschließenden Zeit bis 30. November 1997 9.409 Stunden erbracht.
Nach den im jeweiligen Zeitraum gültigen, für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen für das Baugewerbe betrug der Mindeststundenlohn in der Zeit bis zum 31. August 1997 17 DM und ab dem 01. September 1997 16DM.
Das Amtsgericht ist davon ausgegangen, dass die Verfallsbeteiligte im verfahrensgegenständlichen Zeitraum - unter Berücksichtigung von nichtgewährtem Urlaub - ihre Arbeitnehmer mit 528.901 DM hätte entlohnen müssen, ihnen tatsächlich jedoch nur 153.404,67 DM bezahlt hat. Nach Abzug von 10% von dem hieraus errechneten Differenzbetrag für mögliche Auslagen der Verfallsbeteiligten wie Steuern und dergleichen geht das Amtsgericht von einer Mindestlohnunterschreitung in Höhe von 337.946 DM aus. Es bewertet den Marktvorteil, den sich die Verfallsbeteiligte durch die "massive Unterschreitung der Mindestlohnvorgabe" verschafft habe, auf 20% aus dem Betrag von 337.946 DM. Die sich dadurch ergebende Summe von 405.535 DM hat das Amtsgericht im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens auf 400.000 DM abgerundet und diesen Betrag für verfallen erklärt.
Gegen dieses Urteil hat die Verfallsbeteiligte form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt. Die geltend gemachten Verfahrensrügen sind zum Teil nicht in der Form des § 344 Abs. 2 StPO ausgeführt und daher unzulässig, im Übrigen offensichtlich unbegründet. Insoweit wird auf die Begründung des Antrags der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart Bezug genommen.
Dagegen ist die Sachrüge teilweise begründet und führt zur Reduzierung des für verfallen erklärten Betrages.
II.
1. Die Feststellungen des Amtsgerichts zu den von den Arbeitnehmern der Verfallsbeteiligten tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden sind ohne Rechtsfehler getroffen und nicht zu beanstanden.
Gleiches gilt für die Feststellung der von der Fa. H. geleisteten Abschlagszahlungen und die Feststellung, die Verfallsbeteiligte habe ihren Arbeitnehmern jeweils 40% der für den einzelnen Monat von der Fa. H. erhaltenen Abschlagszahlungen ausbezahlt.
2. Allerdings ist die vom Amtsgericht vorgenommene Berechnung des Mindestlohnes zu korrigieren.
a) Zunächst hätte in diesem Zusammenhang als weitere von der Fa. H. geleistete Abschlagszahlung diejenige vom 17. Dezember 1997 über 39.266,57 DM Berücksichtigung finden müssen. Sie bezog sich auf im Monat November 1997 geleistete Arbeiten. Die verfahrensrelevante Tatzeit erstreckte sich bis zum 30. November 1997. Erst im Anschluss hieran konnte das Aufmaß hinsichtlich der im November 1997 erbrachten Arbeiten genommen und eine Abschlagszahlung ausbezahlt werden. Es liegt auf der Hand, dass die letzte vom Amtsgericht berücksichtigte Abschlagszahlung vom 15. November 1997 nicht sämtliche Arbeiten bis Ende November 1997 abgedeckt haben kann.
b) Zudem kann die vom Amtsgericht vorgenommene - rechnerische - Erhöhung der von den Arbeitnehmern der Verfallsbeteiligten geleisteten Arbeitsstunden um 7% keinen Bestand haben. Das Amtsgericht begründet diese Erhöhung damit, dass die Verfallsbeteiligte ihren Arbeitnehmern keinen bezahlten Urlaub gewährt habe. Aufgrund des (auch für die Verfallsbeteiligte geltenden) Urlaubskassenverfahrens hatte jedoch die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft für die Urlaubsvergütung bzw. -abgeltung der Arbeitnehmer der Verfallsbeteiligten aufzukommen. Insofern finden gemäß § 1 des AEntG der Bundesrahmentarifvertrag - Bau und der Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe in der ab 01. Januar 1997 bzw. ab 01. Juli 1997 geltenden Fassung Anwendung (alle in ihrer jeweiligen Fassung für allgemeinverbindlich erklärt vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung). Das darin geregelte Urlaubskassenverfahren für außerhalb Deutschlands ansässige Arbeitgeber und ihre in Deutschland beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer sieht vor, dass die ausländischen Arbeitgeber, abhängig von den Bruttoarbeitslöhnen ihrer Arbeitnehmer, einen Betrag an die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse zahlen und im Gegenzug die ausländischen Arbeitnehmer einen eigenen, direkten Anspruch an die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse auf Urlaubsvergütung bzw. -abgeltung haben. Unter diesen Voraussetzungen darf der tatsächliche Bruttolohn der Arbeitnehmer der Verfallsbeteiligten nicht wegen nichtgewährten Urlaubs rechnerisch erhöht werden. Dies würde zu einer doppelten Belastung der Verfallsbeteiligten führen.
Auch unter Berücksichtigung dieser vorzunehmenden Korrekturen ergeben die Feststellungen, dass die Verfallsbeteiligte die in den zur Tatzeit geltenden für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen festgelegten Mindestlöhne unterschritten hat (zur Berechnung der Mindestlohnunterschreitung im Einzelnen vergleiche unten unter IV 1).
III.
1. Zu Recht hat das Amtsgericht auf den vorliegenden Sachverhalt das AEntG angewandt.
Insbesondere ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, dass es davon ausgegangen ist, dass die Verfallsbeteiligte überwiegend Bauleistungen erbracht hat im Sinne von § 75 Abs. 1 Nr. 2 des AFG (auf den § 1 Abs. 1 AEntG in der zur Tatzeit geltenden Fassung verwies) bzw. im Sinne des § 211 Abs. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (auf den § 1 Abs. 1 AEntG in den seit 01. Januar 1998 geltenden Fassungen verweist).
Zwar hat der EuGH - jedenfalls in Bezug auf das Urlaubskassenverfahren -entschieden, dass § 1 Abs. 4 AEntG eine gegen Art. 59 EGV (jetzt Art. 49 EG) verstoßende Ungleichbehandlung ausländischer Arbeitgeber gegenüber deutschen Arbeitgebern begründet (Urteil vom 25. Oktober 2001 - C-49/98). Diese Entscheidung hat jedoch - unabhängig von der Frage, ob gleiches in Bezug auf die Festsetzung von Mindestlöhnen gilt, und der Frage, ob die Verfallsbeteiligte sich hierauf als polnische Firma im Hinblick auf das Europaabkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft sowie ihren Mitgliedstaaten und der Republik Polen berufen kann - auf die vorliegende Entscheidung keinen Einfluss.
Die Niederlassung B. der Verfallsbeteiligten stellt nämlich eine Betriebsabteilung im Sinne von § 75 Abs. 1 Nr. 1 AFG in der bis 31. Dezember 1997 geltenden Fassung und im Sinne von § 211 Abs. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch dar.
Derartige Betriebsabteilungen sind nach ständiger sozialgerichtlicher Rechtsprechung räumlich, personell und organisatorisch vom Gesamtbetrieb abgetrennte Betriebsteile, die mit eigenen technischen Betriebsmitteln einen eigenen Betriebszweck verfolgen, der auch ein Hilfszweck sein kann. Diese Merkmale erfüllt die Niederlassung B. nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des angefochtenen Urteils. Die Verfallsbeteiligte betreibt seit einigen Jahren (UA Seite 2) eine Niederlassung in B, welche die Tätigkeiten der Verfallsbeteiligten auf dem Bausektor in Deutschland verwaltet und organisiert (UA Seite 2). Von dort holte der Polier K, ein Bauingenieur (UA Seite 6), monatlich die errechneten Löhne in bar ab (UA Seite 3). Die deutsche Niederlassung der Verfallsbeteligten war im verfahrensgegenständlichen Zeitraum bundesweit in erheblichem Umfang an großen Bauvorhaben tätig, unter anderem am ... (UA Seite 5 und 7). Dies zeigt, dass von der Niederlassung B. aus ein für ein ausländisches Unternehmen außerordentlich umfangreicher inländischer Geschäftsbetrieb entfaltet wurde. Die Einteilung der Arbeitnehmer zu den einzelnen Baustellen in Deutschland, die Verwaltung und die Betreuung der Arbeitnehmer (Einholung von Arbeitserlaubnissen, Lohnabrechnung) erfolgte in B. (UA Seite 7 und 14), ebenso wie die Abrechnung mit der Auftraggeberin (UA Seite 14). Die von B. aus betreuten Baustellen und Arbeitnehmer waren organisatorisch vom Hauptbetrieb in Polen abgegrenzt (UA Seite 8). Die Verfallsbeteiligte verfolgt, auch nach ihren eigenen Angaben, mit ihrem deutschen Betriebsteil einen eigenen, von ihrem in Polen betriebenen Geschäftsbereich deutlich unterscheidbaren Betriebszweck: Während der Hauptbetrieb in Polen Baustoffe in Steinbrüchen gewinnt und Baustoffhandel betreibt, geht die Niederlassung in B. ganz überwiegend dem Bauhandwerk nach.
§ 1 Abs. 4 AEntG kommt somit in Bezug auf den festgestellten Sachverhalt nicht zur Anwendung. Vielmehr wird der in Deutschland entfaltete Geschäftsbetrieb der Verfallsbeteiligten von § 1 Abs. 1 AEntG direkt erfasst. Ein aus § 1 Abs. 4 AEntG hergeleiteter Verstoß gegen den freien Dienstleistungsverkehr gemäß Art. 59 EGV (jetzt Art. 49 EG) oder gegen das Niederlassungsrecht gemäß Art. 44 des Europaabkommens mit Polen hat daher auf das vorliegende Verfahren keinen Einfluss.
2. Der Senat sieht auch keinen Anlass, die Sache aus einem anderen Grund gemäß § 177 Abs. 2 EGV (jetzt Art. 234 Abs. 2 EG) dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen. Über die in der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen europarechtlichen Fragen hat der EuGH bereits entschieden.
a) Soweit mit der Rechtsbeschwerde geltend gemacht wird, aufgrund der vom AEntG geforderten Zahlung von Mindestlöhnen werde die Dienstleistungsfreiheit der Verfallsbeteiligten aus Gründen eingeschränkt, die nicht durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt seien, beruft sich die Verfallsbeteiligte auf die Motive des Gesetzgebers, der mit der Einführung des AEntG (unter anderem auch) das Ziel verfolgt habe, den nationalen Arbeitsmarkt zu schützen (insbesondere vor Sozialdumping durch den Zustrom billiger arbeitender Arbeitnehmer), die nationale Arbeitslosigkeit abzubauen und den deutschen Unternehmen die Anpassung an den Binnenmarkt zu ermöglichen.
Der Europäische Gerichtshof hat jedoch mit dem Urteil vom 24. Januar 2002 (C-164/99) klargestellt, dass für die Frage, ob zwingende Gründe des Allgemeininteresses, wie etwa der Schutz der Arbeitnehmer, eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen, nicht vornehmlich die Absicht des Gesetzgebers maßgebend ist, die bei politischen Debatten vor dem Erlass eines Gesetzes oder in dessen Begründung zum Ausdruck kommen. Vielmehr ist nach objektiven Gesichtspunkten zu prüfen, ob das in Frage stehende Gesetz den betroffenen Arbeitnehmern einen tatsächlichen Vorteil verschafft, der deutlich zu ihrem sozialen Schutz beiträgt.
Dabei hat der EuGH ausdrücklich festgestellt, dass grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass der Aufnahmemitgliedstaat mit der Anwendung seiner Regelung über den Mindestlohn auf Dienstleistende, die in einem anderen Mitgliedschaft ansässig sind, im Allgemeininteresse handelt, nämlich zum Schutz der Arbeitnehmer.
Polnische Arbeiter verdienen in ihrem Heimatland lediglich einen Bruchteil der aufgrund der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge festgesetzten Mindestlöhne. Ohne die Geltung des AEntG wäre es aus Billiglohnländern stammenden Arbeitnehmern nicht möglich, die in der Bundesrepublik Deutschland für das Baugewerbe geltenden Lohn- und Sozialvorschriften gegenüber ihren im Ausland ansässigen Arbeitgebern durchzusetzen. Dass die in Deutschland geltenden Mindestlöhne den entsandten polnischen Arbeitnehmern einen tatsächlichen sozialen Vorteil verschaffen, liegt auf der Hand und braucht daher nicht näher erörtert zu werden.
Außergewöhnliche Umstände, die im Rechtsbeschwerdeverfahren zu berücksichtigen wären, und die im vorliegenden Fall eine Ausnahme von der vom EuGH aufgestellten Regel erfordern, sind nicht ersichtlich. Bei der Zusammensetzung des Mindestlohnes aus Tariflohn und Bauzuschlag handelt es sich um tarifhistorisch gewachsene Berechnungsgrößen, die heute völlig anlassungsbhängig zu festen Bestandteilen des Lohnes geworden sind. Im Übrigen entfernt sich die Verfallsbeteiligte mit der Behauptung, sie sei anders als deutsche Arbeitgeber verpflichtet, in bestimmten Zeiten Lohn zu zahlen, in unzulässiger Weise von den Urteilsfeststellungen; dieser Sachvortrag kann daher im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht berücksichtigt werden.
b) Eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit beinhaltet schließlich auch nicht die für einen inländischen Arbeitgeber bestehende Möglichkeit, den in einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag festgesetzten Mindestlohn durch Abschluss eines Firmentarifvertrags zu unterschreiten (vgl. hierzu das Urteil des EuGH vom 24. Januar 2002, C-164/99).
Entgegen der Behauptung der Verfallsbeteiligten trifft es nämlich nicht zu, dass ein solcher Firmentarifvertrag einem außerdeutschen Arbeitgeber, der Arbeitnehmer nach Deutschland entsendet, anders als deutschen Arbeitgebern, nicht möglich sei. Bezeichnenderweise hat etwa das Amtsgericht Tauberbischofsheim in seinem Vorlagebeschluss vom 13. April 1999 (NStZ-RR 1999, 343 ff) ausgeführt, ausländischen Unternehmern sei es "zumindest faktisch kaum möglich, solche Tarifverträge mit deutschen Gewerkschaften abzuschließen." Es mag zwar unwahrscheinlich sein, dass ein derartiger Tarifvertrag zustande kommt. Das gilt aber auch hinsichtlich deutscher Arbeitgeber.
Die rein theoretische Möglichkeit, Firmentarifverträge mit einer deutschen Gewerkschaft abzuschließen, durch welche die in für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen festgesetzten Mindestlöhne unterschritten werden, gilt für deutsche wie für ausländische Arbeitgeber gleichermaßen, handelt es sich doch bei der Koalitionsfreiheit des Art. 9 GG um ein für jedermann geltendes Grundrecht. Dementsprechend nennt § 2 Abs. 1 TVG "einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigung von Arbeitgebern" als Tarifvertragsparteien, ohne auf einen inländischen Firmensitz abzustellen. Schließlich ergibt sich auch aus dem AEntG nichts Gegenteiliges: § 1 Abs. 1 AEntG bestimmt, dass "die Rechtsnormen eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages des Baugewerbes ... auch auf ein Arbeitsverhältnis zwischen einem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und seine im räumlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrags beschäftigten Arbeitnehmer zwingend Anwendung" finden. Das Wort "auch" hat nach allgemeinem Sprachgebrauch dieselbe Bedeutung wie "ebenfalls" oder "gleichfalls". Daraus folgt, dass für die von § 1 Abs. 1 AEntG erfassten ausländischen Arbeitgeber kraft Gesetz dieselben tariflichen Regelungen gelten sollen, wie, aufgrund des Tarifrechts, für die entsprechenden Arbeitgeber mit Sitz im Inland. Eine Ungleichbehandlung zwischen deutschen und ausländischen Arbeitgebern bewirkt die Regelung des § 1 Abs. 1 AEntG daher nicht.
IV.
1. Aufgrund des vom Amtsgericht rechtsfehlerfrei festgestellten Sachverhalts kann der Senat die Mindestlohnunterschreitung selbst berechnen.
Wie bereits oben unter II 2 dargelegt, ist im verfahrensgegenständlichen Zeitraum zusätzlich zu den vom Amtsgericht berücksichtigten Abschlagszahlungen in Höhe von 383.511,67 DM eine weitere Abschlagszahlung der Fa. H. in Höhe von 39.266,57 DM in die Berechung des von der Verfallsbeteiligten bezahlten Lohnes einzubeziehen. Die Verfallsbeteiligte hat ihren Arbeitnehmern somit 40% aus 422.778,24 DM, das heißt insgesamt 169.111,29 DM bezahlt.
Tatsächlich hätte sie zahlen müssen in der Zeit bis zum 21. August 1997 für 20.222 Stunden jeweils 17 DM, das heißt 343.774 DM, und in der Zeit bis zum 30. November 1997 für 9.409 Stunden jeweils 16 DM, das heißt 150.544 DM, insgesamt also 494.318 DM. Die Mindestlohnunterschreitung beträgt somit (abgerundet auf volle DM) 325.206 DM.
Wie bereits das Amtsgericht macht der Senat hiervon zugunsten der Verfallsbeteiligten einen Sicherheitsabschlag von 10% für mögliche zum Lohn hinzuzurechnende, jedenfalls geringfügige Zahlungen der Verfallsbeteiligten. Dies ergibt (abgerundet auf volle DM) einen Betrag von 292.685 DM.
Weitere Abschläge sind nicht veranlasst, auch nicht hinsichtlich eventuell von der Verfallsbeteiligten aufgewendeter Sozialversicherungsbeiträge. Gesetzliche Abgaben, die ein Arbeitgeber alleine zu tragen hat, sind nämlich nicht Teil des Bruttolohnes. Denn im Bruttolohn sind nur die gesetzlich festgelegten Abgaben enthalten, die der Arbeitnehmer selbst zu tragen hat. Deshalb dürfen möglicherweise von der Verfallsbeteiligten in Polen für ihre Arbeitnehmer bezahlte Sozialversicherungsbeiträge nicht vom Bruttolohn abgezogen werden. Abgesehen hiervon kann dem insoweit äußerst unbestimmten Vortrag der Verfallsbeteiligten im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht einmal entnommen werden, sie hätte für ihre in der Kinderklinik in T. eingesetzten Arbeitnehmer einen höheren Betrag für Sozialabgaben aufgewendet, als dies ein deutscher Arbeitgeber hätte tun müssen, wenn dieser dort deutsche Arbeitnehmer beschäftigt hätte.
2. Diese Korrekturen bei der Berechnung der Mindestlohnunterschreitung erfordern eine Aufhebung und Zurückverweisung der Sache nicht. Aufgrund der rechtsfehlerfreien Feststellungen kann der Senat gemäß § 79 Abs. 6 OWiG selbst entscheiden. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch, weil im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Sachentscheidung grundsätzlich Vorrang vor einer Zurückverweisung hat und es angemessen erscheint, das Verfahren durch eine Sachentscheidung des Senats zum Abschluss zu bringen.
Bei der Bemessung des festzusetzenden Verfallsbetrags hat der Senat im Wesentlichen folgende Gesichtspunkte bedacht:
§ 29 a Abs. 1 bis 3 OWiG wurde durch das Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, des Strafgesetzbuchs und anderer Gesetze vom 28. Februar 1992 neu gefasst. Nach dem Willen des Gesetzgebers wurde durch diese Gesetzesänderung nicht nur im Strafrecht, sondern auch für den Geltungsbereich des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten das vorher geltende Nettoprinzip durch das Bruttoprinzip ersetzt. Dies hat der Bundesgerichtshof für den Bereich des Strafrechts mehrfach bestätigt, zuletzt durch Urteil vom 21. August 2002, 1 StR 115/02. Für die Auslegung des § 29 a OWiG gilt nichts anderes. Durch das Bruttoprinzip sollen gewinnorientierte Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten verhindert werden. Müsste ein Verfallsbeteiligter für den Fall der Entdeckung einer Mindestlohnunterschreitung lediglich die Abschöpfung des Tatgewinns befürchten, wäre die Tatbegehung unter finanziellen Gesichtspunkten weitgehend risikolos.
Der vorliegend festzusetzende Verfallsbetrag hat sich daher an dem Betrag der Mindestlohnunterschreitung zu orientieren. Er ist das durch die mit Geldbuße bedrohte Handlung (die Bezahlung zu niedrigen Lohnes) Erlangte. Aus diesem Grund kann die Verfallsbeteiligte auch nicht mit der (nicht näher konkretisierten) Behauptung gehört werden, sie habe letztlich (unter Einbeziehung des festzusetzenden Verfallsbetrags) mit dem Auftrag als Subunternehmerin der Fa. H in der Kinderklinik in T. einen Verlust erwirtschaftet, weil sie noch weitere Auslagen hatte, die nicht Lohnbestandteil waren.
Auch weitere Abzüge von der errechneten Mindestlohnunterschreitung sind im Rahmen des festzusetzenden Verfallsbetrages nicht gerechtfertigt. Das Amtsgericht hat festgestellt, dass die Verfallsbeteiligte nach wie vor in Deutschland als wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen tätig ist. Demzufolge ist in der Festsetzung eines Verfallsbetrages, der im Wesentlichen der Mindestlohnunterschreitung entspricht, keine besondere Härte für die Verfallsbeteiligte zu sehen.
Die Verfallsbeteiligte hat zwar zusätzlich zu dem bereits genannten Betrag der Mindestlohnunterschreitung durch die Tat einen Marktvorteil erlangt. Allerdings kann dieser nicht - wie vom Amtsgericht geschehen - ohne jegliche Anhaltspunkte mit einem pauschalen Prozentsatz der Lohnunterschreitung festgesetzt werden. Ein solcher Vorteil darf zwar geschätzt werden; jedoch müssen dann die die Schätzung tragenden Grundlagen in nachprüfbarer Weise dargelegt werden. Hierfür genügt jedenfalls nicht der Hinweis auf zeitgleich mit dem verfahrensgegenständlichen Verstoß gegen das AEntG durchgeführte weitere Bauvorhaben.
Vorliegend kann allerdings dahingestellt bleiben, wie hoch der der Verfallsbeteiligten durch den verfahrensgegenständlichen Verstoß gegen das AEntG erlangte Marktvorteil tatsächlich war. Der Senat hält es nämlich angesichts des Umstandes, dass die Tat rund fünf Jahre zurückliegt, für gerechtfertigt, den Marktvorteil im vorliegenden Fall bei der Bemessung des Verfallsbetrages außer Ansatz zu lassen.
Unter Berücksichtigung all dieser Erwägungen setzt der Senat den Verfallsbetrag auf 149.000 Euro fest, indem er die Mindestlohnunterschreitung (292.685 DM entsprechend 149.647 Euro) mäßig abrundet.
Ende der Entscheidung
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